blindekinder.de         

- Hilfe für blinde und sehbehinderte Kinder in Hamburg -

Frühförderung aus der Sicht der Eltern: Ein Fahrplan für mehr Freiheit


Wie bist Du an die Frühförderung gekommen?

Kurz vor der Entlassung aus dem Krankenhaus hat uns der behandelnde Arzt eine Liste mit möglichen Frühförderstellen mitgegeben. Er hat uns empfohlen, möglichst rasch mit der Frühförderung zu beginnen und das Angebot einer professionellen Unterstützung zu nutzen.

Da der Fokus bei unserem Sohn ganz klar auf der Blindheit lag, kam für uns von Anfang an nur der Frühförderverein der blinden und sehbehinderten Kinder in Frage. Nach verschiedenen Untersuchungen beim Amtsarzt zur Feststellung des Bedarfs und der üblichen behördlichen Anträge konnten wir zum Glück sehr schnell nach der Entlassung aus dem Krankenhaus mit der Frühförderung beginnen.


Kannst Du dich an die erste Begegnung mit der Frühfördung erinnern?

Der erste Kontakt mit unserer Frühförderin fand bei uns zu Hause in der Wohnung statt. Ich weiß nicht, wie alt Erik zu diesem Zeitpunkt war, vielleicht 7 Monate. Durch seine Frühgeburt war er sehr entwicklungsverzögert und ich sehe ihn wirklich noch als kleines Baby vor mir, da er zu dem Zeitpunkt auch noch nicht in der Lage war, zu krabbeln.

Die Begrüßung war freundlich und entspannt. Wir waren neugierig, wissbegierig, erhofften uns auch ein bisschen Zuspruch, Motivation und Hilfestellung. Zu dem Zeitpunkt wussten wir zwar, dass Erik vollblind ist, was es aber für unseren Alltag bedeuten würde, war uns natürlich völlig unklar.

Bei Kaffee und Keksen lernten Katrin und wir uns kennen. Vorsichtig nahm Katrin Kontakt zu Erik auf und wir besprachen den „Fahrplan“ für die nächste Zeit. Wir waren zuversichtlich, dass der Kontakt zu der Frühförderung uns ein wenig entlasten würde, wir Kontakte knüpfen konnten und natürlich Erik in seiner Entwicklung sehr von dem Angebot profitieren würde.


Welche Unterstützung hast Du erhalten?

In den ersten 1 1⁄2 Lebensjahren hat Katrin uns regelmäßig zu Hause besucht. Sie hat mit Erik gespielt, seine Wahrnehmung gefördert, die anderen Sinne angeregt und hatte auch immer ein offenes Ohr für unsere Sorgen, Ängste und Fragen.

Durch Katrins langjährige Erfahrung im Umgang mit blinden und sehbehinderten Kindern haben wir sehr von ihrem umfangreichen Erfahrungsschatz und dem Fundus von Spielsachen und alltäglichen Gegenständen profitiert. Taktile Erfahrungen standen im Vordergrund und alles, was für andere Sinne erfahrbar war, wurde ausprobiert. Mit Reise und Linsen gefüllte Flaschen in unterschiedlichen Größen, Rasseln, Tischtennisbälle, in Behälter gefüllte Murmeln, unterschiedliche Materialien zum Befühlen ... es gab immer wieder was Neues zu Entdecken. Ganz besonders interessant für die Wahrnehmung und die Vorstellungskraft war der „Kleine Raum“ von der Pädagogin Lilli Nilsen. Die "kleinen Räume" werden mit verschiedenen Materialien, die an der Decke hängen oder an den Wänden befestigt sind, bestückt. Die Gegenstände entsprechen dem Entwicklungsstand des Kindes: Es können klingende Sachen sein, essbare Dinge oder ganz unterschiedliche Materialien. Untersuchungen haben gezeigt, dass sich geburtsblinde Kinder in solchen „little rooms“ viel aktiver verhalten. Diese taktilen und auditiven Aktivitäten halfen Erik seine räumliche Orientierung zu erlangen.Neben den Spieleinheiten mit Erik haben wir Unterstützung bei vielen behördlichen Angelegenheiten erhalten. Seien es die Beantragung des Schwerbehindertenausweises, Leistungen des Blinden- und Pflegegeldes, Beratung bei der Auswahl von Hilfsmitteln – es konnte jede Frage gestellt werden und wenn nicht sofort eine Antwort verfügbar war, wurde sich mit Kollegen und Kolleginnen ausgetauscht oder andere Eltern mit einbezogen.

Auch bei der Herstellung des Kontakts zu anderen Eltern mit blinden und sehbehinderten Kindern war unsere Frühförderin behilflich. Es tat gut, sich mit anderen Eltern auszutauschen und teilweise entstanden Freundschaften zwischen den Familien.

Auch später in der Kinderkrippe bzw. anschließend im Kindergarten war Katrin wichtiger Teil des pädagogischen Teams. Wir entschieden uns früh für die Inklusion in einem Regelkindergarten und Katrin unterstützte mit Rat und Tat bei den Vorbereitungen sowie später im Kindergarten-Alltag. Einmal die Woche war sie vor Ort und Erik freute sich jedes Mal auf ihren Besuch und all die Sachen, die sie mitbrachte.


Kannst Du berichten, über ein Ereignis / Moment, das dir besonders gut in Erinnerung geblieben ist?

Ein Fokus in der Frühförderung lag auch in der Verbesserung der Mobilität und vor allem der Unterstützung, in vielen Lebensbereichen mehr Selbstständigkeit zu erlangen. Nach Ende der Krippenzeit wechselte Erik in die Elementargruppe im Kindergarten. Es galt neue Räume zu entdecken, neue Kinder kennenzulernen, sich an neue Abläufe zu gewöhnen und vor allem auch eine Treppe mit bestimmt 25-30 Stufen in die neuen Räumlichkeiten im 1. Stock zu überwinden. Erik konnte mit seinen drei Jahren noch nicht besonders gut laufen und brauchte viel Hilfestellung. Der Handlauf zum sicheres Festhalten war für ihn zu hoch, seine Entwicklungsverzögerung machte sich auch in seiner Körpergröße bemerkbar.

Mit Katrins fachlicher Unterstützung setzte der Hausmeister des Kindergartens ein Projekt um: ein kleinerer Handlauf, angepasst für Eriks Körpergröße und direkt unter dem normalen Handlauf angebracht. Erik war sehr stolz und es machte ihm großen Spaß, die Treppe fast alleine hoch- und runterzugehen.


Welche Empfehlung der Frühförderung hat Dir besonders geholfen?

Eine einzelne Empfehlung ist mir inzwischen gar nicht mehr so präsent. Besonders hilfreich fand ich die Ratschläge, welche Alltagsgegenstände sich besonders gut als Spielzeug eignen. Denn, das wurde uns schnell bewusst, Spielzeug für sehende Kinder eignet sich nur bedingt für blinde Kinder. Und für alles, was elektronisch und akustisch daherkommt, hatte Katrin einen wirklich unschlagbaren Tipp: den Lautsprecher mit Klebeband abkleben. Die Spielzeuge mit akustischen Signalen sind teilweise so laut und anstrengend, dass es selbst für sehende Kinder schnell anstrengend wird.


Welche Aktivitäten hat die Frühförderung angeboten?

Einmal im Jahr, im Frühjahr, findet in Cuxhaven das Eltern-Kind-Seminar statt. Dort treffen sich alle interessierten Eltern mit ihren Kindern, teilweise auch Oma und Opa, mit allen Frühfördern des Vereins und weiteren Referenten und Gästen. Die Kinder haben eine 1:1 Betreuung, während die Eltern und Angehörigen sich in interessanten Vorträgen und Möglichkeiten zur Selbsterfahrung unter der Augenbinde einen Eindruck über die Einschränkung ihrer Kinder machen können und viel Wissenswertes über Hilfsmittel, Unterstützung im Alltag, etc. erfahren. Am Abend kommt man beim gemütlichen Beisammensein ins Gespräch, tauscht sich aus und lernt sich kennen. In den Pausen lädt die fußläufige Nähe zur Nordsee zu einem Spaziergang ein. Nach dem Wochenende hatten wir jedes Mal das Gefühl, wir kommen von einem Kurzurlaub nach Hause. Mental gestärkt.

Außerdem findet im Sommer ein Grillfest auf dem Gelände des BZBS sowie im Dezember ein Adventssingen in der Aula der Schule statt. Schöne Gelegenheiten, um Eltern wiederzutreffen, Kindern die ersten Bekanntschaften zu ermöglichen und für ein paar Stunden den oft stressigen und manchmal sorgenvollen Alltag zu vergessen.


Anne Wunder   - Mutter von Erik und 1. Vorsitzende des Vorstands -




40 Jahre Frühförderung - Vorwort

Anfänge der Frühbetreuung

Frühförderung heute auch als Komplexleistung

Frühförderung aus der Sicht der Eltern: Ein Fahrplan für mehr Freiheit

Ausblick

Der Podcast

Impressum